Karen Minassian / Romana Höftberger
Medizinische Universität Wien, Zentrum für Medizinische Physik und Biomedizinische Technik, Wien, Österreich

Der menschliche zentrale Mustergenerator zur Fortbewegung: Identifizierung von Schlüsselneuronen, Expression monoaminerger Rezeptoren und strukturelle Plastizität

Problem: Nervennetzwerke im Rückenmark koordinieren eigenständig komplexe Bewegungsabläufe zur Fortbewegung

Angriffspunkt: Nachweis dieser Strukturen nun erstmals beim Menschen

Zielsetzung: Erschaffung einer Landkarte des menschlichen Rückenmarks

Die Existenz von Nervennetzwerken im Rückenmark, die eigenständig komplexe Bewegungsabläufe zur Fortbewegung koordinieren können, wurde bislang nur im Tierexperiment nachgewiesen. Jedoch verdichten sich in den letzten Jahren die Hinweise, die auf ebensolche Netzwerke auch im menschlichen Rückenmark hindeuten. Der Nachweis ist deshalb wichtig, da ihre Funktionen prinzipiell auch nach einer Querschnittsverletzung – wenn auch mit einigen Veränderungen – erhalten bleiben.

Diese Funktionen machen sich bereits heute Strategien zur Gangrehabilitation von Personen mit Querschnittslähmung zu Nutze, unter anderem auch aktuelle Ansätze mit elektrischer Rückenmarkstimulation. Um sie aber effizienter nutzen zu können, fehlt es derzeit noch an notwendigen wissenschaftlichen Grundlagen beim Menschen.

Im Rahmen dieses Projektes wollen die Wissenschaftler erstmals strukturelle Beweise für Komponenten dieser neuronalen Netzwerke im menschlichen Rückenmark liefern. Dazu bedienen sie sich der neuesten Methoden der Molekulargenetik, Immunohistochemie und Immunofluoreszenz sowie einer einzigartigen Biodatenbank mit Rückenmarksproben von Körperspenden mit und ohne Querschnittsverletzung. Das Ziel der Studie ist die Erschaffung einer Art Landkarte des menschlichen Rückenmarks, die Aufschluss über die Existenz, den Aufbau und die Verteilung relevanter Nervenklassen bietet. Darüber hinaus wollen die Wissenschaftler untersuchen, über welche Rezeptoren, also Andockstellen für chemische Botenstoffe, die einzelnen Nervenklassen verfügen. Daraus kann abgeleitet werden, welche Botenstoffe für ihre Anregung notwendig sind. Durch Vergleiche zwischen unverletztem und verletztem Rückenmark sollen außerdem Veränderungen nach einer Querschnittsverletzung, die sich vom akuten Trauma bis zum chronischen Zustand hin entwickeln, nachvollzogen werden. Durch das Studium der Rezeptoren soll auch eine wissenschaftliche Basis für innovative, auf das menschliche Rückenmark optimierte pharmakologische Therapieansätze geschaffen werden, um sowohl unmittelbar nach der Verletzung ungünstigen Veränderungen der Netzwerke im Rückenmark entgegenzuwirken, aber auch langfristig Therapieergebnisse zu verbessern.

Bildnachweis: Karen Minassian